Private Domain # Salon

Galerie Robert Drees. Hannover

Performative Zeichnungen, Rauminstallation

Dauer der Ausstellung: 11.12.2004 – 15.01.2005
Eröffnung: Freitag, 10.12.2004, 20.00 Uhr

private domain salon

performative Zeichnungen / performative drawings

Die besten Freunde des Menschen ...
Kippenköter®
(Stumpenköter®)

Handzeichnungen über Zigarrenbauchbinden
(nach sorgfältigem Genuß der Zigarren)
mit Aquarellfarbe oder Zeichentuschen laviert
ca. 21 x 15 cm

private domain salon

daily performance

Serie von Zeichnungen (seit 1998)
nach Familienbildern 1955 – 2003

22 x 30 cm, Museumskarton, Zeichenkarton Bleistift und Buntstift, laviert.

private domain salon

unpuked, ungebrochen

private domain salon

THEA HEROLD
Freistehender Text
für Hannes Malte Mahler (II)


Galerie Robert Drees, Hannover
10. Dezember 2004


1.

STILL.
ES IST STILL.
DIE SCHATTEN SIND DICHT UND WARM
WIR SIND SCHON LANGE UNTERWEGS.
DU KENNST NICHT MEINE GESCHICHTEN.
ICH KENNE NICHT DEINE UMWEGE.
LASS UNS AUSRUHEN EINEN MOMENT.
EINEN MOMENT.
STILL IST ES.
STILL.
(aus den Handschriften)


2.

Meine Damen und Herren: Wüssten Sie jetzt noch zu sagen, was Sie vor diesem Moment ohne Licht gerade gesehen haben? Was stand Ihnen in genau jener Sekunde vor Augen, als das Licht ausging? Sahen Sie auf einen pointillistischen Pudel ? Oder den rotzottligen Kippenköter? Vielleicht auf die Leuchtschrift? Könnte auch sein, auf eines der Familienbilder! Oder vielleicht doch auf die Dame an Ihrer Seite, heute abend zur Vernissage von Hannes Malte Mahler?

Merken Sie, es ist gar nicht so einfach, sich auch nur einen Moment lang einen Moment als solchen zu merken. Versuchen Sie es trotzdem und ich werde Ihre Aufmerksamkeit nur ein paar Minuten in Anspruch nehmen. Die Ausstellung heute trägt den Titel “Private domain/Salon". Ein passender Schriftzug. Aber ich betreibe voller Absicht Themenflucht und Genrewechsel. Dies hier ist also keine Rede zur Eröffnung, sondern ein Text einzig und allein für Hannes Malte Mahler, einzig und allein gelesen für ihn. Hier und Heute und in diesem konkreten Moment – wenn auch in aller Öffentlichkeit. Wir alle sind nun mal gefesselt an Momente. Wir sind uns der Sache nur nicht immer bewußt.

Ich wusste lange nicht, was ich nun heute abend wirklich sage. Doch das Erinnern an Momente mit Malte begann schon Anfang der Woche. Es war nur offenkundig, dass manche unserer Begegnungen in den letzten Jahren für mich überaus reich an Konsequenzen war. Es ist deshalb an der Zeit, ihm ein paar Erinnerungen zurückzugeben.

Wie die Erinnerung an die erste Begegnung im Haus am Lützowplatz in Berlin. Er war da einer unter vielen und doch mehr. Primus inter pares in der Klasse von Marina Abramovic. Erst ganz zuletzt hing er einen Sandsack an die Decke, deutsche Farben, und schlug kurz aber kräftig darauf eine Faust. Fertig. Oder auch Start.

Für mich ist Hannes Malte Mahler seither ein zeitgenössischer Künstler im wortwörtlichen Sinn. Denn die ZEIT spielt bei ihm eine ästhetische, eine emotionale und eine formgebende Rolle. Nicht zu verwechseln mit UHRZEIT. Davon haben Künstler genauso wenig wie wir alle. Es geht vielmehr um die Mahlerschen ZEIT-RÄUME als Spielfelder. Um Mahlersche MOMENTE als Erinnerungsflächen. Um eine unersättliche Sehnsucht für einen AUGENBLICK lang das allzumenschliche Zerissensein von Gestern, Heute, Morgen vergessen zu machen. Beim Werken. Beim Schaffen. Wo sonst.

Vielleicht erinnert er sich selbst gar nicht mehr an eine kleine Zeichnung von 1996, die er mit krakliger Pforte und einer Art Losung unterschrieb:
“Es wird alles so heiß gegessen wie es gekocht wird". Das schreibt niemand ohne Grund. Niemand, der nur in wolkigen Plänen schwelgt, oder der sich nur an das vage und vergebliche Glücklichsein von Gestern erinnert. Das klingt eher danach, was er auch mir einmal am Telefon zurief: Mach es!

Mach es, wenn du kannst. Und mach es heute.

Soweit zum Credo.

In anderen, ruhigeren Gesprächen, bei solchen Sofasockengesprächen, bei denen die Zeit wie ein Fluss durch die Ebene fließt, ging es um die paradoxe Erkenntnis, ja fast schon eine schmerzhafte Einsicht, dass Zeit nicht nur in einer Performance eine Rolle spielt, sondern immer als künstlerisches Werkzeug funktioniert. Weil die Zeit selbst ohne unser Zutun einfach ihre Arbeit macht. Und – dass sie vergeht.

Das klingt ganz banal. Ist aber komplexer, als es scheint. Wer kann auch heute auch schon erklären, welche Rolle ein konkretes Zeitfenster im Schaffen eines Künstlers später spielt? Warum manchmal gerade die Tüten, in die man nichts kotzt, ihren einmaligen Moment bekommen. Warum sich Fotos aus dem Familienalbum erst nach der Verwandlung zur Zeichnung als liebevolle Ode ausnehmen. Oder was alles passieren kann, wenn ein Künstler mit unübersehbarer Freude an der eigenen Ideenfindung voller Absicht auf den Hund kommt. Glücklich und in Serie.

Was immerhin sicher zu sagen ist: Mahlersche Werkphasen laufen immer fröhlich nebeneinander her. Zeitgleich. Permanent. Ohne Pause zu machen, quasseln sich die kreativen Momente beim Zeichnen, Malen, Fotografieren, beim skulpturalen oder angewandten Arbeiten fröhlich dazwischen. Auf den Zeichnungen zum Beispiel wird so eine zeitliche Erinnerungspartitur sehr klar sichtbar. Wie Musik von gestern, heute gehört. Wir können die verschiedensten Tempi erkennen.

Sehen Sie auf diese Zeichnungen mal einfach mit Ruhe: Da flüstert es und brüllt. Es mault und mauschelt und muttert und vatert – dass es eine Art hat. Performancezeit ist überall. Und die Figuren stehen frei.Kein Ort, nirgends. Mahler selbst ist in Hannover zu Hause, ja sicher. Aber in der Kunst hat er Ortszuschreibungen noch nie akzeptiert. Da ist er zwischen den Schubladen. Lebendig, echt, authentisch und vor allem unterwegs. Und wenn er tatsächlich anhält – bei einer Vernissage wie heute – erinnert er uns und sich, dass es am Ende vielleicht nur einfach um diese Momente geht. Um jene Augenblicke des Lebens, die wir in unsere Erinnerung aufnehmen. Weil der gerade so wichtig war oder sich als wichtig erwies oder sich wichtig nimmt, im Nachhinein. Und in seinen Zeichnungen finden sich die Echos solcher Momente.

Wie er die einfängt? Nun mit einer Zigarre zum Beispiel. Der längst verrauchte Duft klebt mitsamt der Banderole einem Kippenköter am Hals. Und auch die Nachtstimmung steckt mit drin, das Timbre des Tages liegt unter der Farbe der Zeichnung. Egal ob es ein bestimmter Geschmack war, ein Rauch, ein Frost, eine Hitzewelle, ein Triumph, eine Liebe oder ein Jammertal – etwas davon hat sich immer mit in die Liniaturen gelegt. Das sieht zuweilen beiläufig aus, leichthin oder zufallsbestimmt. Aber es unterliegt großer formgebender Autorität. Es unterliegt eben zuletzt auch der ZEIT, die letztendlich die einzige Autorität ist, die über Formen und Farben gebietet “Jedes Kunstwerk ist ein Kind seiner Zeit, oft ist es Mutter unserer Gefühle" so definierte es Kandisky in seinem Aufsatz “Über das Geistige in der Kunst". Alles andere wäre ja lebensfeindlich. Und Mahler Kunst ist lebensfroh.


3.

Also erinnern Sie sich, was hatten Sie gesehen haben? Eben, kurz bevor gerade das Licht ausging? Was es das Bild von der Begegnung am Meer, vom Skiausflug oder das mit dieser väterlichen Geste mit Pfeife. War es dort der Sonntaghut, da die Alltagshaltung oder doch die Hundeschnauze? Wenn wir diese Momente in ihrer Schönheit erleben,können wir sie ja nicht sehen.

Dafür brauchen wir später solche Momente mit der Kunst.

Wenn Sie mich fragen, es geht ja niemanden etwas an, woran sie sich gerade an diesen Moment erinnert haben. Das ist so. Denn wie wir heute abend wieder sehen, ist in guter Kunst auch immer ein Geheimnis zu Hause.

Thea Herold © für Handschrift und Text bei der Autorin
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