Alarmierende Zustände und missratene Märchen
Arbeiten von Sonja Alhäuser und Hannes Malte MahlerAusstellung vom 9.9.–11.10.2009
feinkunstraum Hannover
Geöffnet Samstag von 11–14 und Sonntag von 15–18 Uhr
oder nach persönlicher Vereinbarung.
„Alarmierende Zustände und missratene Märchen“ heißt die Überschrift, unter der ab 9. September in ihrer ersten gemeinsamen Ausstellung Arbeiten von Sonja Alhäuser und Hannes Malte Mahler aus ihren unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern gezeigt werden.
Sonja Alhäuser feiert Bankette ohne Anlass, zeichnet Rezepte, reitet über Bilder, kocht, backt, schießt, badet in Schokolade und promoviert Lebensmittel zu Materialien ihrer künstlerischen Arbeit.
Hannes Malte Mahler wischt malerisch Böden, zeichnet Verständnismodelle der Welt, brät artistisch Klopse, raucht performativ, schießt auf Weihnachtsbaumkugeln und malt missratene Märchen.
Diese Künstler verweben Leben und Kunst auf immer neue und überraschende Weise,
ebenso neugierig wie experimentierfreudig - mal ist das Resultat bleibendes Werk, mal ist es die Erinnerung.
Malerei, Zeichnungen und Skulpturen verbinden sich zu einer komplexen Installation im gesamten feinkunstraum.
>> Ausstellungskatalog ansehen.
feinkunstraum
Kronenstrasse 41 Hinterhof
D-30161 Hannover
www.feinkunstraum.de
VOM ERZÄHLEN
ÜBER DAS MISSGESCHICK
Text zur Ausstellung von Mark Gisbourne
In unserer post-freudianischen Welt sind alle
Märchen immer auch missratene oder gescheiterte
Märchen. Sie scheitern, weil sie abweichend von
den ursprünglichen und unschuldigen erzählerischen
Zielen interpretiert werden. Die versteckte
Bedeutung unter der äußeren Erscheinung einer
vermeintlich unkomplizierten Märchenerzählung
ist für den modernen Verstand problematisch – es
gibt keine neutrale Haltung mehr zum unschuldigen
Geschichtenerzählen. Und nach der modernen
Kinderpsychologie gibt es auch keine unschuldigen
Zuhörer. Nach dieser allgemeinen Vorbemerkung
entdeckt man in Hannes Malte Mahlers Serie von
Bildern eine eigentümlich verdrehte moderne Wahrheit
– eine intellektuelle Wahrheit, die sich dem
Betrachter in den missratenen oder in die Irre führenden
Bildinhalten nur schrittweise vermittelt.
Unregelmäßig installiert scheinen sie wie Metaphern
einer post-narrativen Fragmentierung, jedes
ein Teilobjekt, ein Moment einer angehaltenen und
isolierten erzählerischen Wahrnehmung. Von dem
Gemälde Das Märchen vom idyllischen Resthof bis
zu Arbeiten wie Barbarossa oder Der fliegende
Holländer wird der Betrachter ohne einen einfach
zugänglichen und bestimmten erzählerischen Aufbau
alleingelassen. Während sich eine Arbeit wie
Rotkäppchen und das böse Schwein auf ein Märchen
zu beziehen scheint, könnte es genauso gut auf
Bilder von Schweinen aus der religiösen Ikonografie
des Westens zurückgreifen, etwa das
Schwein des Heiligen Antonius dem Großen. Auf
einem monochromen, unbehandelten Grund stehen
die Figuren jeweils für sich, nur durch den
gemeinsamen Titel verbunden. Das rote Käppchen
dient nur als Chiffre für das weibliche Wesen
und das schwarze Schwein funktioniert auf ähnliche
Weise – als räumlicher Kontrapunkt. Es
werden Bildelemente verwendet, die im ersten
Moment etwas zu bedeuten scheinen, wobei nicht
klar wird, worin die Bedeutung bestehen soll – so
wird der Prozess der Signifikation bewusst in einem
permanenten Zustand visueller Uneindeutigkeit
gehalten.
Dies ist eine Art Paradigma in den Gemälden von
Hannes Malte Mahler – die wiederum extrem indexikalisch
sind. Das heisst, dass sie nur eine allgemeine
Richtung vorgeben. Wie Fußspuren im
Sand verraten sie eine Anwesenheit oder geben
wie eine Wetterfahne die Windrichtung an – vermitteln
jedoch nichts über den Verursacher der
Fußspuren oder über die Natur des Windes. Der
Betrachter konstruiert die narrativen Inhalte aufgrund
minimaler Informationen.
Ein Gemälde wie Das Kap der Guten Hoffnung
etwa hat also nur eine indexikalische Assoziation
zur potentiellen Bilderzählung. Ein kleines Maskeradenbild
einer Frauenfigur mit Katzenkopf und
-schwanz reicht kaum aus, um den Titel zu begründen
(Die gestiefelte Katze). Sogar ein freudianischer
Analytiker hätte hier Schwierigkeiten, einen
symbolischen oder konnektiven Diskurs zu entdecken.
Mahlers Absicht ist es zu zeigen, dass in
der heutigen Verwendung missratener Geschichten,
die visuelle und symbolische Uneindeutigkeit
sowohl eine notwendige wie unmittelbare Kondition
des modernen Daseins ist. So wird die Fehl-
Leitung einfach ein Ausweg aus potentiell unterschiedlichen
Bedeutungsinhalten.
Man könnte meinen, dass ein Gemälde wie Mother
Nature at a Black Tie Occasion (Flora) jene
Strategie tatsächlich bis zum Äußersten führt – mit
seinem kindlichen Tannenbaum, der von einem
(fotobasierten) feierlich angezogenen Mann betrachtet
wird. Daraus wird kaum ein Zugang zum
Märchen hergestellt, ob gescheitert, fehlgeleitet
oder in die Irre geführt. Das Bild scheint eher filmbasiert
(im Allgemeinen ist Film das moderne
Medium der märchenhaften Narrative) und könnte
wohl ein indirekter Verweis auf ein modernes,
poststrukturalistisches Filmemachen sein. Ein
Ansatz also, bei dem der Betrachter ein wesentlicher
und notwendiger Bestandteil ist, um das
Werk visuell zu vollenden. Hannes Malte
Mahler zeigt dies indirekt in seinem kleinen friesartigen
Gemälde 6 Zwerge – denn eine der Figuren
aus der traditionellen Erzählung fehlt. Für mich
wird damit suggeriert, dass der Betrachter selbst
die fehlende siebte Figur ist (Wobei jeder Betrachter
seinen Namen selbst formulieren müsste –
wie sie ursprünglich hießen, wurde von den Gebrüdern
Grimm nämlich nicht verraten, erst die
Disney-Verfilmung verlieh ihnen ihre modernen,
ausgesprochen anglozentrischen Identitäten).
Und hier sind wir wieder an unserem Ausgangspunkt.
Erzählte Märchen sind nie fix, sondern erhalten
ihre Bedeutung aus dem Kontext, aus dem
heraus sie interpretiert werden. Alle Märchen
scheitern oder gelingen in unserer modernen Welt,
wenn sie eine persönliche Bedeutung in dem Moment
entfalten, in dem sie assimiliert werden –
und sowohl in der Malerei wie in der modernen
Literatur wird die Bedeutung vom Leser geformt
und von der Art und Weise, wie er sich mit dem
Gelesenen auseinandersetzt.
Mit freundlicher Unterstützung
durch die Sparkasse Hannover.