dipple
Welten ohne Zahl
Eine Welt ist nicht genug. Welten zu erfinden ist erfreulicher als
Sachverhalte zu komponieren. Unentscheidbare Konkurrenzen sind komischer
als strahlende Siege (2). Leichte Künstlichkeit wirkt überzeugender
als bemühte Natürlichkeit. Reiche Ernten sind besser als frugales
Mahl. Guter Empfang macht klarer als tiefe Besinnung. Knisternde Spannung
hält wacher als lärmende Theorie. Wuselnde Geschäftigkeit erwirtschaftet
höhere Profite als gähnende Konzentration. Aufgeräumte Allgemeinplätze
erfreuen die Sinne nachhaltiger als brausender Beifall. Not macht
weit weniger erfinderisch als Gier. Verbindliche Plaudereien feilen
das Vermögen glatter als wörtliche Rede. Geschlossene Gesellschaften
erzeugen Stimmungen sicherer als befreites Aufspielen. Gerade Linien
laufen neben einander als schöne Striche. Fettes auf Magerem hält
besser als Mageres auf Fettem. Zwei bis drei mittelschöne Hemden sind
besser als ein sehr schönes. Hamster zu erwerben ist einfacher als
Kraftfahrzeuge zu veräußern. Rasierte Beine sind notwendiger als harte
Ziele. Sanftes Schaukeln stimmt ruhiger als richtiges Raten. Schmutzige
Fotos erfordern mehr Aufmerksamkeit als alberne Witze. Mittelstürmen
befremdet heftiger als gründliche Reinigung. Sorgfältige Auswahl trägt
weiter als heilige Einfalt. Eilige Mittel wirken schlechter als wohlgestalte
Zwecke. Die vorsichtige Berührung verletzt schlimmer als der bedingte
Vorsatz. Metrisches Dichten nervt übler als laue Getränke. Umsichtige
Maßnahmen begünstigen Erfolge eher als formschöne Kiefernholzmöbel.
The chase is always better than the pride. Wearing the hairy shirt
is less fun than getting money for nothing. Mobile homes seem more
affirmed than fair ground carousels. Gossippers and liars burn brighter
than the sisters of mercy. Buying a hamster is easier than selling
a car. Being bored is worse than easy going. Coming home too soon
is far more exhausting than playing wicked games. Joggling to and
fro will move you further than a bucket of books. Un tien vaut mieux
que deux tu auras. Happiness is a warmer gun than struggling in vain.
Toujours se présente plus souvent que le cas echéant. Home ownership
rates persuade rather than humming rehearsals (3). Multiplication
leads to more sizzling fractals than skilled repetition of original
craftmanship. Far and away the water is clearer than down by law.
A Jackal's efforts are planned more carefully than a parrot's. An
unappropriate relationship echoes louder than any space full of rumour.
Success is a more effectful aphrodisiac than date rape. No business
makes more money than lip reading and belly dancing. Guided art tours
are more ridiculous than drunk animals in Disney motion pictures.
Hunting and gathering can be more satisfying than storing and protecting.
Committing suicide affords more committment than founding a party.
Diplomacy flatters moister than hypocrisy. The clever poacher relies
on the virtue of calm rather than on luck and accident (4). Galilei
sleeps deeper than Newton (5). Security is less predictable than women's
taste (6). I think therefore I am is a stronger thesis than I stay
unless I leave. The digital age is more comfortable than riding on
a horse with no name even if it does not rain at all (7).
(1) Welt ist die absolute Totalität des Inbegriffs existierender Dinge,
sagt Kant, und alles was der Fall ist: Wittgenstein (I); nämlich die
Gesamtheit der Tatsachen, welche aus Sachverhalten bestehen: Das sind
Verbindungen von Gegenständen, Sachen, Dingen.
(2) Freundliche Aporien vs. Hässliche Wegweiser.
(3) Tune and play your instruments wisely.
(4) Does he ???
(5) He actually never sleeps...
(6) weatherforecast, chaos, colours
(7) cyan, magenta, yellow and black rain. sprinkle. shower.
Selbstportrait
Hand-Siebdruck
(als Performance)
1000 Stück
abour art
I used to be out of any order. Until I found that I didn`t move any
further. Then I started to order my thinking and make up my mind to
find out what to care about and comment on. I found that I was interested
in the general conditions of human existence reflected in mans doing
(eating, hunting, executing), building (housing, gardening, decorating)
and behaving (loving, arguing, entertaining). My art rearranges the
world in a piece. Sometimes more. Sometimes less realistic. In the
installation I take a position. I emphasize, amplify, mask, reveal,
irritate, clear, propose, claim, hurry up, postpone, put, hang, lay,
sit, stand, lie, laugh. In the installation I try to counstruct an
order. Art cannot be summarized under any order.
I do show.
Wie Leuchtkäfer schweben Bilder im Raum. Interieurs verdoppeln das
Raummotiv, berauben es aber zugleich seiner Tiefe. Als nur sichtbare,
nicht begehbare Räume erscheinen projizierte Zimmer auf einem Würfel,
der wiederum eine dritte Dimension vortäuscht. Landschaften öffnen
den Raum nach außen. Ohne die klassische Rahmung durch ein Fenster
in den Innenraum eingefügt, unterstreichen diese künstlichen Aussichten
die das Interieur prägende Innen-Außen-Dialektik. Das Interieur stellt,
wie Walter Benjamin es beschrieben hat, »für den Privatmann das Universum
dar. In ihm versammelt er die Ferne und die Vergangenheit. Sein Salon
ist eine Loge im Welttheater.« Was den kühlen Arbeitsraum Mahlers
füllt, sind fotografische Bilder, es sind Bilder, an denen nach Roland
Barthes der Referent klebt. Durch Ausschneiden, Vergrößern oder digitale
Bearbeitung sind diese Bilder verfremdet, entwurzelt, manchmal zu
Punkten zerkrümelt. Was ein Ding bedeutet, was ein Ding vorstellt
— darüber gibt es keine Möglichkeit einer Verständigung, wie Ludwig
Wittgenstein am Beispiel des Käfers in der Schachtel zeigt: »Niemand
kann je in die Schachtel des Andern schaun; und Jeder sagt, er wisse
nur vom Anblick seines Käfers, was ein Käfer ist.« Kurzerhand wird
der Gegenstand als irrelevant weggekürzt und mit ihm das Konzept der
Repräsentation. Was bleibt, ist die Schachtel, die sich selbst als
Rahmen des Redens über ein Ding setzt. Auch die Leuchtkäfer in unserer
Schachtel stellen nicht dar, sie sind eigenwillig geformte Agenten
einer zerstückelten, re-figurierten Außenwelt, Lichtpunkte im Dämmer
des abgedichteten, selbstgenügsamen Raumes.
Beate Söntgen
Walter Benjamin, Louis-Philippe oder das Interieur, in: Illuminationen,
Frankfurt am Main 1977, S. 177.
Ludwig Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, Werkausgabe Bd.
1, Frankfurt am Main 1997, S. 373.
Platz genommen hat keiner. Der Fotograf war beschäftigt und ich wollte
nicht mit einem Heiligenschein im Schaufenster sitzen. Aber die Kuh
hinter dem großen Glas war ohnehin eher ein Bild und weniger ein Sitzmöbel,
merkwürdig flach durch das camouflierende Fell, das die Formen zu
einem abstrakten Muster zusammenzog.
Überhaupt glich das lebensgroße Tier im Fenster eines Pariser Antiquitätengeschäftes
nahezu exakt der Nähmaschine in Lautréamonts Surrealismusparabel.
Man sieht, auch ohne Marcel und Damian war die Kunstgeschichte rasch
assoziiert, das Werk also zu betrachten und nicht in Besitz zu nehmen.
Denn daß dieses ausgestopfte Tier auch noch als Sitzbank funktionieren
sollte, konnten wir nur als postmoderne Unmöglichkeit begreifen. Insofern
ist fast alles geklärt auf diesem Erinnerungsfoto einer kunstgeschichtlichen
Exkursion aus der Studienzeit des Fotografen, der ein Künstler ist,
weil er mit einem Auge das Geheimnis gesehen und festgehalten hat:
die leuchtende Scheibe zwischen uns.
Michael Schwarz
Bildauszüge aus:
»dipple«
modulares Diplombuch & Formelsammlung, 1998 – 1999
Salon Verlag, Köln, 2000, ISBN 3-89770-087-5