spooks
Der Künstler als Geist(er)beschwörer
Text: Michael Stoeber
Nachdenkend über das Werk von Hannes Malte Mahler,
fällt mir dazu ein Paradox ein. Sein Ziel, so scheint mir,
ist das Leichte, das schwer zu machen ist. Aus Tiefe
oberflächlich sein, schrieb nicht Nietzsche so über die
Kunst der Griechen? als Künstler reklamiert Mahler
viele Paten für sich: Till Eulenspiegel, der den Bürger
narrt und ihm zugleich den Spiegel vorhält. Christian
Dietrich Grabbe, der im Titel seines berühmten Theater-
stücks Strategien aufzählt, die auch Mahler für seine
Kunst adoptiert hat, Scherz, Satire, Ironie und Tiefere
bedeutung. Näher an unserer Zeit genießt der Wort- und
Bildwitz der Dadaisten und Fluxuskünstler, ihr antibür-
gerlicher Reflex und ihre gesellschaftskritische Attitüde,
Mahlers Sympathie. mit ihnen teilt er auch das Spieleri-
sche und Unangestrengte des künstlerischen Auftritts.
dahinter scheint das Ideal des homo ludens auf. Die
Rolle des Künstlerpredigers und -sehers ist ihm dagegen
verhasst. das Goethe-Wort: „Wer Kunst hat, hat auch
religion“, findet seinen ganzen Spott. Es meint ja anma-
ßend nichts weniger als: „Wer mich liest, kann auf die
Kirche verzichten“, nur um drohend hinzuzufügen: „Wer
aber keine Kunst hat, der habe Religion.“ Soll heißen:
„Wer mich nicht liest, der sollte dann aber wenigstens in
die Kirche gehen.“
Mahlers vorstellung von seiner Rolle als Künstler
grundieren auch seine verschiedenen Werkserien zum
motivkomplex „Geist“ und „Geister“ aus 2007 und 2008
für den Salon Salder. man fasst sie in ihrer Ambivalenz
am besten in der Zusammenziehung von Singular und
Plural als Geist(er). Dass Mahler sein Thema in unter-
schiedlichen Medien zugleich verhandelt, in Malerei,
Fotografie und Performance, entspricht seiner polyvalen-
ten Ausbildung als Künstler und seinem künstlerischen
Selbstverständnis. der homo ludens ist in erster linie ja
immer auch experimentierender, Versucher und Tüftler.
Jedes Expertentum ist Mahler verdächtig. Leicht tauchen
dahinter Einseitigkeit, Absolutheitsanspruch und Kano-
nisierung auf. die bezeichnungen als Amateur (Liebha-
ber) und Dilettant (Entzückter) gelten ihm als Ehrentitel,
nicht als Einschränkung. es ist ihm wichtig, die Dinge
im Fluss zu halten und beweglich zu bleiben.
Der Geist im Werk von Hannes Malte Mahler taucht
zum ersten mal im letzten Jahr auf, als er mit seiner
Werkserie „rummel“ (2006/07) befasst ist. er taucht
auf wie der sprichwörtliche Geist aus der Flasche: ein
Zufallsfund, das ergebnis einer überraschenden Wende.
er entwickelt sich als Übermalung aus einer missglück-
ten Figuration in einem großen Ölbild. aus Scheitern
wird Gewinn. da steht er nun auf der Leinwand, ein
weißer, wallender Geist aus einem Kindheits(alb)traum,
zwischen all den großen Teddybären, jenen obskuren
objekten der Begierde, die man auf dem Schützenfest
trotz heißen Sehnens nie gewinnt und die nicht weniger
anachronistisch sind als der Geist. ein halbes Jahr später
begegnen wir ihm wieder. in einer Fotografie (2007),
die den Künstler als weißen bettlakengeist in nächt-
licher Szenerie bei grünlicher Geisterbahnillumination
vor seinem Atelier zeigt. die Langzeitbelichtung lässt
seinen Kopf durchscheinend wirken. in ihm taucht das
atelier als ort der Schöpfung auf. „pneuma“ (Geist) und
„ergon“ (Werk), so der titel, verbinden sich in dieser
aufnahme. der Geist hat sich im buchstäblichen Sinne,
während er noch sein Kinderschreckkostüm trägt, zum
Kulturschaffenden sublimiert.
Als solcher wird er zum „Weltgeist“ (hegel) und reist
mit mahler durch die Welt. Wir treffen ihn zum bei-
spiel in Afrika, an trivialen und erhabenen Orten, wo
er sich als stummer und ohnmächtiger Zeuge von Welt
und Wirklichkeit materialisiert. als leucht- und Geister-
schrift auf dem Lichtbild, aber ohne Spur omnipotenten
einwirkens. in der Malerei Mahlers erscheint er nun
gleichfalls. er irrt dort wie der fliegende Holländer durch
vielfache Szenen, den Geist und die Geister illustrer vor-
gänger beschwörend. mit c. d. Friedrich steht er einsam
am Meeresstrand, mit Arnold Böcklin rudert er in rich-
tung Toteninsel, mit Peter Doig wandert er durch ver-
giftete idyllen. Goethes pathetische Geistbeschwörung,
die den gequälten Künstler („und wenn der mensch
in seiner Qual verstummt, gab mir ein Gott zu sagen,
was ich leide“) in höhere Sphären hebt, funktioniert für
Hannes Malte Mahler in transzendental obdachloser
Gegenwart nur noch als Travestie.