Zeichnen Sie woran Sie glauben
Glaubenszeich(nung)en
Jeder glaubt an etwas, an irgendetwas. Auch du.
Hannes Malte Mahler lädt den Besucher seiner interaktiven Installation dazu ein, auf Papier festzuhalten, woran er festhält, das, woran er glaubt. Glaubhaft zu zeichnen – aufzuzeichnen.
Eine Art offene Wahlkabine aus einem lichten blauen Acrylglas steht mit Papier und Bleistiften in entsprechenden Behältern zu diesem Zweck bereit. An dem Tisch angekommen stellt der Besucher erst einmal fest, woran er glaubt, holt einen Glaubenssatz - ob religiöser, politischer oder privater Natur – aus dem eigenen Inneren. Davon macht er sich zunächst ein Bild und dann macht er ein Bild auf dem Papier.
Denn Bilder sollst du doch machen. Keine Karikaturen, Plakate oder Werbetafeln – weder zur Missionierung noch zur Beleidigung, sondern Abbilder eigener Bekenntnisse für den privaten Gebrauch.
Mit einem Bleistift (den man übrigens behalten darf) werden die Glaubenszeich(nung)en auf dem Papier eingeprägt und somit visualisiert und materialisiert. Die eigenhändige Bildwerdung des eigenen Glaubens möge gelingen oder sich anders darstellen, als man sich vorstellte. Der Besucher prägt sich dieses Bild gut ein, verinnerlicht es und dematerialisiert es. Die Zeichnung selbst ist nun überflüssig geworden. Außerdem besteht der Gefahr, die Zeichnung könnte von Fremden Menschen oder Nachrichtendiensten eingesehen werden. Also wird sie wieder vernichtet.
In anderen Zeiten und Kulturen wäre die Zeichnung vielleicht verbrannt worden, damit ihr Rauch in die Nase einer Gottheit steigt. An Mahlers Glaubenszeich(nung)entisch schickt der Glaubende sein Blatt dagegen ganz modern durch den dafür vorgesehenen Papiershredder.
Doch die Zeichnung gibt es immer noch. Und nun in zweifacher Ausfertigung. Einmal real als unlesbare datenschützgerechte Papierschnipsel, die durch den Papiershredder gegangen sind und unter dem Tisch auf dem Haufen der Glaubenssätzezeichnungen der anderen Besucher landen, wo sie sich untereinander mischen. Und es gibt die Zeichnung noch einmal ideell, als unauslöschliches und für Dritte ebenso uneinsehbar in Herz und Hirn eingeprägtes Glaubensbild.
Michael Wolfson