Daily Performance
Serie von Zeichnungen (seit 1998)
nach Familienbildern 1955 – 2003
Wir alle – performieren – immerzu.
(produzieren, stellen uns dar) Aus einer umfangreichen Sammlung von
Familiendias – Ski Ferien, Geburtstage, Hochzeiten, Kinder, Städtereisen,
Gärten, Urlaube, Strandspiele und so weiter – Ich wähle Bilder aus,
um danach zu zeichnen.
Fotografie friert eine Pose ein, einen Moment – performiert – für die
Kamera. Es gib keine Jungfäulichkeit vor der Linse.
Cheese, lächle, mach Dich hübsch. Tritt ind Licht. Sei natürlich.
Finde Dich in die Komposition. Trage schöne Farben und Stoffe. Beweg
Dich nicht. Schau, hier kommt das Vögelchen.
Blitz.
Die Figuren werden gezeichnet. Sie werden aus dem Hintergrund isoliert.
Sie werden laviert.
22 x 30 cm, Museumskarton, Zeichenkarton Bleistift und Buntstift, laviert.
Michael Wolfson
Rituale des Alltags.
Sie gehören zu jenen Besonderheiten, wie die Sprache, die die Mitglieder
einer Nation oder einer Kultur gemeinsam besitzen. Für seine ausführliche
Zeichnungsserie daily performance greift Hannes Malte Mahler auf ein
besonderes Ritual zurück. Nämlich das Fotografieren im Familienglück.
Es ist ein Teil des Urlaubs und der familiären Gartenparty, der Geburtstags-
und Hochzeitsfeier im großen und im kleinen Stil und des Sonntagsausflugs.
Arm oder Reich, Stadt oder Land, solche Familienfotografien sehen zwar
je nach Familie immer anders aus, aber letztlich sehen sie doch immer
gleich aus.
Es ist die ritualisierte Konservierung von Menschen und Momenten. Und
von Performances. Denn sobald die Kamera aus ihrem Behälter herausgenommen
wird, sobald sie im Blickfeld erscheint, wird alles anders. Die Anwesenheit
der Kamera macht aus uns allen Charaktere vor der Kamera. Es wird posiert
und sei es auch, dass man einfach so wie zuvor weiter macht. Aber die
Anwesenheit der Kamera wird dabei anerkannt. Es wird weiter gegessen,
gesonnt, gelesen, gespielt, geplaudert, aber immer im vollen Bewusstsein,
dass es gleich Klick machen kann.
Es wird für die Kamera agiert oder bewusst nicht agiert, ob wir wollen
oder nicht. Es wird posiert, auch wenn man nicht posiert. Denn wenn
man so tut, als würde man nicht posieren, dann ist das auch posieren:
die nicht posierende Pose. Und wenn man des spontanen Schnappschusses
willen die Kamera ignoriert, so ist das auch posieren: die die Kamera
ignorieren Pose.
Vor der Kamera wird auf Natürlichkeit gepocht, ja sogar insistiert.
Doch die ansonsten unordentlichen Haare werden zurechtgekämmt und das
gewohnheitsmäßig frei flatternde Hemd wird gerade noch rechtzeitig in
die Hose gesteckt. Es entsteht eine Performance, eine Inszenierung des
Alltags vor der Kamera, eine Vorstellung dessen, was den Alltag ausmacht:
ein gefühlter Alltag, der im Album aufgeklebt oder an die Wand projiziert
werden kann.
Aus einem großen Konvolut von Familienfotografien der eigenen Familie,
die bis in die Mitte der 50er Jahre zurückreichen, arbeitet Hannes Malte
Mahler an einem langfristig angelegten Zeichnungsprojekt, das diese
(all)täglichen Performances in einem besonderen Licht erscheinen lässt.
Nicht übermäßig detailreich aber von der Bildkomposition her schon genau
wiedergegeben übersetzt er die Fotografien in lavierte Bleistiftzeichnungen,
die auf die dargestellten Personen konzentrieren. Ein Hintergrund kommt
nicht vor, nichts durch das sich die Szene in einen größeren narrativen,
lokalisierbaren oder datierbaren Kontext einordnen liesse und auch Requisiten
werden minimal gehalten.
In den Mittelpunkt werden also die Menschen – in diesem Fall Mahlers
eigene Familie sowie natürlich er selbst in allen Lebensphasen – und
ihr jeweils persönlicher Umgang mit einer gängigen Alltagssituation
angesichts der alles sehenden Kamera gerückt. Dank des umfangreichen
zugrunde liegenden Bildmaterials, das über Jahrzehnte hinaus hinreicht
und eine Vielzahl von Personen beinhaltet, haben wir ein zwar individuelles
aber doch universelles Cachet an Alltagsperformances, die auch in jeder
beliebigen Familie dieser Zeit und Region vorkommen könnten und wohl
auch vorgekommen sind. All die kleinen und großen Peinlichkeiten kommen
stellvertretend in der erweiterten Mahler-Familie vor, denen wir selbst
bei solchen fotografierten Performances ausgesetzt waren und oft noch
sind sowie auch diejenigen Performances, die wir womöglich auch bei
anderen auslösen, wenn wir die Kamera in die Hand nehmen.