Laudatio für Marina Abramovic
Kunstpreis der SPD-Landtagsfraktion 2004
15. März 2005
Liegen und Atmen
Guten Abend meine sehr verehrten Damen und Herren
Guten Abend Marina.
Das ist eine interessante Performance – ich stehe hier und Du sitzt
dort und ich rede und Du hörst zu.
Als wir uns zum ersten Mal begegneten standest Du in der Aula der Hochschule
für Bildende Künste zu Braunschweig – und ich lag.
Es war Deine Antrittsvorlesung, aber gelesen hast Du nichts.
Stattdessen mussten sich die Teilnehmer auf den Boden legen und atmen
und ankommen.
You arrive.
Ich fragte mich, wo ich angekommen war, sicher genau so, wie die anderen
150 Liegenden und Atmenden um mich herum.
Von lauter Neugier getrieben waren nämlich so viele Studenten zu dieser
Veranstaltung gekommen. Hier sollte sich die Klasse der neu berufenen
Professorin für Raumkonzepte – eine gewisse Marina Abramovic – Serbin,
radikal und irgendwie Weltstar – konstituieren.
Du bist zwischen den Liegenden und Atmenden herum-gewandert und hast
mit suggestiver Stimme empfohlen, anzukommen, den Boden zu fühlen und
den Geist zu leeren.
Und die Studenten leerten ihren Geist und nach dieser ersten Runde leerte
sich die Aula – für einen Teil der Probanden war schon diese erste Runde
zu intensiv.
Durch weitere Übungen und Interviews schrumpfte der Kreis zukünftiger
Abramovic-Eleven auf etwa 25 zusammen.
Wir saßen im Kreis und Du bist herumgegangen und hast jedem tief in
die Augen gesehen und gefragt: Do you rrrreally need me? und alle haben
geantwortet: Yes Marina.
Und ich dachte, au weia, das kann sie ja wohl nicht ernst meinen und
sagte nein – ich würde sie doch eher nicht wirrrrklich brauchen – aber
ich hätte es ganz drollig gefunden und würde dann mal gehen.
Und Du sagtest: Hey ole man, let’s just try it – und dann bin ich geblieben.
– Das war eine wirklich gute Entscheidung.
Und dann waren wir eine Abramovic-Klasse und spätestens da haben wir
dann auch nachgelesen, wer uns denn da nun eigentlich unterrichten würde.
Abramovic, Marina,
geboren 1946, Mutter und Vater Partisanen. Kunsthochschule Belgrad.
Diplom. Kunsthochschule Zagreb. Ausstellungen. Performance.
Du hast studiert und gemalt und gezeichnet und mit Klang und Licht experimentiert.
Niemand wird als Performer geboren.
Dann hast Du Deinen Körper als Material entdeckt und eingesetzt. Radikal.
Irgendwie erinnern die schwarzweiss-Fotografien der frühen Arbeiten
an Bilder von Kriegsberichterstattern – Marina in Aktion mit Messer,
Feuer, Schere, Licht, mit Medikamenten oder Eisblöcken.
Unbequemlichkeit, Schmerz, Gefahr für Leib und Leben – die eigene Erfahrung
als Projektionsfläche – Körperliche und seelische Grenzsituationen,
die sowohl Deine, als auch die Belastbarkeit des Publikums auf eine
harte Probe stellen.
1975 hast Du Ulay – Uwe Laysiepen – in Amsterdam getroffen. Ihr seid
eine Kunst- und Lebenspartnerschaft eingegangen. Performance hoch 2
– Relation work.
In der Tat scheint dieses duale System die künstlerische Kraft zu potenzieren.
Und es ist erfolgreich – weltweit und bis zur documenta.
Nach 12 Jahren entwickeln sich eure Vorstellungen auseinander. Der Great
Wall Walk soll ein neuer Anfang werden. Du startest vom östlichen und
Ulay vom westlichen Ende der chinesischen Mauer – Ihr geht aufeinander
zu. Nach 90 Tagen trefft Ihr Euch in der Mitte.
Und sagt Lebewohl.
Seitdem bist Du wieder als Soloperformerin Teil des internationalen
Kunst-Zirkels.
Mit Performances, Installationen, Video-Arbeiten, Büchern, Texten, workshops
– immer unterwegs.
Und erfolgreich – weltweit und bis zum Goldenen Löwen der Biennale von
Venedig. Für die Arbeit Balkan Baroque – sicherlich eine der stärksten
Arbeiten bis jetzt.
Du hast früh begonnen, Deine Erfahrungen weiterzugeben und zu lehren
– innerhalb höchst sonorer Einrichtungen wie der Ecole des Beaux Arts
zu Paris ebenso wie bei workshops zur Befreiung des Geistes am Strand
in Dänemark, als Professorin in Hamburg und Braunschweig, bei Lehraufträgen
in Japan oder den USA oder sonstwo.
Jetzt bis Du (ich zitiere Dich) Grandmother of performance und eine
Legende – aber eine – wie ich finde – sehr lebendige.
Kann man Performance lehren?
Nachdem die Klasse nun gebildet war, hast Du Dir die Studenten und Ihre
Arbeiten genauer angesehen. Du bist einmal im Monat für eine Woche in
Braunschweig gewesen. Das klingt zunächst komfortabel. Wenn man aber
bedenkt, dass 25 Mitglieder der Klasse und zahlreiche andere Studenten,
dazu Interessierte aus der ganzen Welt, Gäste und Journalisten den Kontakt
zu Frau Professor suchen, wird die Zeit knapp. Ein Tag dauert dann schnell
14 Stunden oder 16 Stunden – oder länger.
Während in den klassischen Disziplinen der Malerei und Bildhauerei schon
mit der Vermittlung technischer Grundfertigkeiten einiges geleistet
werden kann, ist das mit der Performance so eine Sache. Da der eigene
Körper als Material eingesetzt wird, muß eine diesem gemäße Idee und
ebenso eine Form gefunden werden.
Das lernt sich aber nicht aus Vorlesungen. Oder Büchern. Das lernt sich
nur durchs Machen. Im Gegensatz zum Theater wird für die Performance
selten geprobt, da die originale Erfahrung des Künstlers ein wesentlicher
Bestandteil der Arbeit ist.
Du hast in den bestehenden Arbeiten nach dieser Unmittelbarkeit gesucht.
Du hast sie gefunden und durch Übungen und Korrekturen geschärft. Du
hast mit einer unfassbaren Intensität und Hingabe die besonderen Stärken
und noch so absurden Ideen jedes Einzelnen gefördert.
Manchmal hatte man nach einer Woche A-Klasse das Gefühl, Du würdest
von einem harten sportlichen Wettkampf zurück in die erholsame Stille
des Abramovic-office in Amsterdam zurückkehren.
Es ist möglich das Studium im ruhigen, gut geheizten Atelier zu verbringen.
Du hast uns hinausgeworfen.
So schnell wie möglich. 24 Stunden mit der Klasse Abramovic im Kunstverein
Hannover. Ein erster Kontakt mit der richtigen Welt. Fertige, überzeugende
performative Arbeiten in einer präsentablen Gesamtinszenierung unter
Deinem Namen. Aber auch Einladungen, Presse, hundert logistische Fragen
– Dokumentation, Getränke, Sicherheit, Musik – eben das volle Programm.
Und es war erfolgreich und dann kam das Haus am Lützowplatz und Weimar
99 und das Friedericianum in Kassel und so weiter und so fort bis zur
Eröffnung der Biennale in Venedig ...
wenn Du etwas machst – machst Du es richtig. Make it Big.
Während die Ausstellungen in die Welt hinausweisen, führen die so genannten
workshops in den Körper und die Seele hinein. Unter dem Titel „Cleaning
the House“ werden eine Woche lang unter Fasten und Schweigen Übungen
nach Deiner Anleitung durchgeführt. Diese Exerzitien entwickelst Du
seit 25 Jahren weiter. Allerdings ist nicht Weltferne und Einkehr das
Ziel, sondern eine weitere Transition auf dem Weg zur eigenständigen
Künstlerpersönlichkeit. In der Dialektik aus Außen- und Innenwelt entsteht
Spannung – Deine künstlerische Arbeit, wie auch Deine Lehre. Marina
meint es Ernst
Du gehst ein hohes Risiko ein – denn das Scheitern ist immer auch eine
Möglichkeit der Performance.
Aber Du meinst es Ernst.
Und das ist vielleicht die erstaunlichste Lektion, die man im Umgang
mit Dir lernt.
Dass sich in diesen abgeklärten und kühlen Zeiten, in denen Ironie die
wichtigste Währung des Diskurses zu sein scheint, jemand hinstellt und
sagt: das bin ich. Ich bin das Werk.
Ohne einen Airbag aus Unverbindlichkeit – dafür mit vollem Einsatz bis
zum Ende der Idee – und wenn nötig über Durst, Hunger und Müdigkeit
hinaus.
Und in dieser Schutzlosigkeit und konzeptuellen Stringenz liegt eine
Stärke und eine Überzeugung, die in Ihren besten Momenten den Betrachter
umwirft und den Blick auf sehr existentielle Dinge lenkt.
Diese Konsequenz hat Dich auf einen vorderen Rang unter die 100 wichtigsten
Künstler der Welt gebracht (übrigens nach der Liste der Wirtschaftszeitung
„Kapital“). Das ist – wenn man bedenkt, dass Du Dich in Gesellschaft
von Malern, Bildhauern und Fotografen (und innen) bewegst umso erstaunlicher.
Performance ist ein flüchtiges Medium. Über dreißig Jahre auf derart
hohem Niveau in diesem Feld zu bestehen ist ohne Beispiel.
Und man könnte annehmen, dass nach so langer Zeit Ermüdung eintritt
und das Bedürfnis, sich für das Gesamtwerk auszeichnen zu lassen, Retrospektiven
zusammen zu stellen und die autorisierte Autobiographie zu diktieren.
Das tust Du aber nicht.
Du bleibst in Bewegung und verfolgst Deine Projekte. In gleichermaßen
atemberaubendem Tempo und höchstem Anspruch.
Du bist so sehr Künstlerin, dass Du die sicherste Bank – die Lebenszeit-Professur
in Braunschweig – zugunsten Deiner freien künstlerischen Tätigkeit aufgegeben
hast. Zu einer Zeit – verzeih, dass ich das sage – ich weiss, dass man
vom Alter einer Dame nur schweigen darf – da sich andere Lehrkräfte
intensiv beginnen, auf den Ruhestand vorzubereiten.
Du hast Deinen Lebensmittelpunkt von Amsterdam nach New York City verlegt
und mit „The House with the Ocean View“ in der Galerie von Sean Kelly
eine fulminante Arbeit realisiert. Mit der Ehren-doktorwürde der Universität
von Chicago in 2004 scheint sich der Erfolg auch in den USA nachhaltig
zu manifestieren.
Und da das alles noch nicht genug ist, hast Du die Energie aus der Klasse
Abramovic mitgenommen und die IPG – die International Performance Group
gegründet.
IPG
Mit der IPG wird die Arbeit der Klasse Abramovic fortgesetzt. Du hast
schon länger die Idee einer eigenen Akademie verfolgt. Mit der IPG bist
Du diesem Traum einen Schritt näher gekommen.
Eine Gruppe von derzeit 41 Künstlern aus 15 Ländern, die sich in den
unterschiedlichsten Variationen der Performance bewegen.
Dies ist kein Denkmal einer „alten Meisterin“ und ihrer „École Abramovic“,
keine Zuchtstätte kleiner Marina-Klone – sondern ein aktuelles Projekt
zur Förderung der Performance-Kunst. Ohne nennenswerte finanzielle Mittel,
dafür mit einer visionären Präsidentin, einem hochkarätigen Kuratorium
und dynamischen Assistenten.
Wenn man beginnt, in Leben und Lebenswerken zu denken, ist die aus der
Physik entlehnte Kategorie der Halbwertszeit hilfreich. Wie lange es
dauern wird, bis die Performances und Installationen vergessen sein
werden. Wie weit die Wirksamkeit der Ideen in die Zukunft reicht.
Performance ist eine zeit-basierte Kunstform – die mediale Repräsentation
ist wichtig – ersetzt aber nicht das eigentliche Ereignis. Die Performance
ist flüchtig und untrennbar mit dem jeweiligen Protagonisten verbunden.
Die Halbwertszeit ist nicht vorhersehbar – man kann sie auch nicht messen…
In jedem Fall ist festzuhalten, dass Du sowohl mit Deinem eigenen Werk,
als auch mit Deiner Vermittlungsarbeit dazu beigetragen hast, die Performance
als eigenständige Kunstform neben den traditionellen Feldern der Bildenden
Kunst zu etablieren.
Wie fast immer, wenn man Dir begegnet, bist Du auch heute abend auf
der Durchreise – der Abramovic-Komet in Hannover – wohlgemerkt, um morgen
früh um neun mit einer Tanz Kompanie einen komplexen Teil eines Performance-Projektes
zu proben.
Ich bin sicher, es wird eine faszinierende Performance.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Laudatio anläßlich des Kunstpreises der
SPD-Landtagsfraktion an Marina Abramovic
Hannes Malte Mahler